Wie sinnvoll sind Infusionen für Gesunde?

Ob in Wellness-Studios, Fitness-Clubs oder sogenannten Drip Bars – intravenöse (IV) Infusionstherapien erleben seit einiger Zeit einen regelrechten Hype. Versprochen werden mehr Energie, ein stärkeres Immunsystem und ein besserer Schutz vor Erkältungen; vor allem in der kalten Jahreszeit. Doch wie viel wissenschaftliche Substanz steckt tatsächlich hinter diesen Versprechen? In diesem Beitrag werfen wir einen kritischen Blick auf die Evidenzlage. Welche Rolle spielen Infusionen bei gesunden Personen wirklich, wie schneiden sie im Vergleich zu oralen Nahrungsergänzungsmitteln ab, und gibt es überzeugende Belege für einen Nutzen in Bezug auf das Immunsystem?
Sinnvolle Infusionen für „Gesunde“
Die wissenschaftliche und medizinische Gemeinschaft äußert sich kritisch gegenüber Infusionstherapien für gesunde Personen, die keinen nachgewiesenen Nährstoffmangel aufweisen. Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) warnt ausdrücklich vor dem Trend der "Drip Bars" und bezeichnet hochdosierte Infusionen mit Vitaminen und Mineralstoffen für Gesunde als "reine Geldmacherei ohne nachgewiesenen gesundheitlichen Nutzen" (Ärzteblatt, 2024).
Diese Einschätzung wird durch das MSD Manual (o.J.) gestützt, welches festhält, dass "sehr wenige Studien die Wirksamkeit von Myers-Cocktails oder einer anderen Form der hochdosierten intravenösen Vitamintherapie bei Personen untersucht haben, die keinen Vitamin- oder Mineralstoffmangel haben." Die meisten positiven Berichte basieren auf anekdotischer Evidenz oder Einzelberichten, die in der wissenschaftlichen Forschung nicht als belastbare Belege gelten. Eine mögliche Ausnahme stellt die intravenöse Gabe von Mikronährstoffen dar, falls ein klinisch relevanter Mangel diagnostiziert wurde und die orale Aufnahme unzureichend ist oder eine Malabsorption vorliegt, selbst bei ansonsten gesunden Personen.
Infusionen im Winter
Kommerzielle Anbieter bewerben IV-Vitamintherapien häufig als Mittel zur Stärkung des Immunsystems und zur Vorbeugung von Erkältungen und Grippe in den Wintermonaten, sowie zur Verbesserung der Stimmung bei Winterblues. Diese Behauptungen sind jedoch nicht durch robuste wissenschaftliche Evidenz für gesunde Personen untermauert.
Die wissenschaftliche Forschung zur Prävention von Winterkrankheiten konzentriert sich eher auf die orale Supplementierung, beispielsweise von Vitamin D, um den winterlichen Abfall des Vitamin-D-Spiegels bei gesunden Erwachsenen zu verhindern (Kearns et al., 2015). Für intravenöse Infusionen gibt es keine spezifischen Belege, die einen besonderen Nutzen für gesunde Menschen im Winter über die orale Zufuhr hinaus belegen würden.
Infusionen vs. orale Nahrungsergänzungsmittel
Befürworter von IV-Infusionen argumentieren oft mit der höheren Bioverfügbarkeit von Nährstoffen, da diese direkt in den Blutkreislauf gelangen und der Verdauungstrakt umgangen wird, was eine schnellere und vollständigere Absorption ermöglichen soll. Dieser theoretische Vorteil ist unbestreitbar bei nachgewiesenen Nährstoffmängeln, Malabsorptionsstörungen oder spezifischen medizinischen Bedingungen, die hohe Dosen erfordern und bei denen die orale Aufnahme nicht ausreicht oder kontraindiziert ist (MSD Manual, o.J.; Alangari, 2025).
Für gesunde Personen ohne diagnostizierte Mängel oder Malabsorptionsprobleme ist die postulierte Überlegenheit von Infusionen gegenüber oralen Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) jedoch nicht durch belastbare wissenschaftliche Evidenz belegt. Die meisten essenziellen Vitamine und Mineralstoffe können bei gesunden Individuen effektiv über eine ausgewogene Ernährung und gegebenenfalls durch orale Supplemente aufgenommen werden. Die normale physiologische Regulation des Körpers sorgt dafür, dass Nährstoffe aus der Nahrung effizient verwertet werden. Nur in bestimmten Fällen, wie bei einem diagnostizierten Eisenmangel oder Vitamin-B12-Mangel, kann eine gezielte Supplementierung, auch parenteral, notwendig sein (MSD Manual, o.J.).
Die invasivere Natur von IV-Therapien, die potenziellen Risiken (wie Infektionen an der Einstichstelle, allergische Reaktionen oder Kreislaufprobleme) und die deutlich höheren Kosten stehen derzeit in keinem Verhältnis zu einem bislang nicht nachgewiesenen zusätzlichen Nutzen für gesunde Personen (Ärzteblatt, 2024). Wir sollten auch bedenken, dass ein Großteil des wahrgenommenen Nutzens auf einem Placebo-Effekt beruhen könnte, da die Erwartung einer schnellen und direkten Wirkung durch eine Infusion psychologisch stark sein kann. Darüber hinaus werden überschüssige Vitamine bei gesunden Personen in der Regel einfach über den Urin ausgeschieden, was die Annahme eines relevanten physiologischen Vorteils bei fehlendem Mangel weiter infrage stellt. Ob IV-Infusionen auch für Gesunde tatsächlich einen Mehrwert bieten, lässt sich also Momentan kaum sagen – es fehlen hochwertige Studien, die einen klaren Vorteil gegenüber der oralen Aufnahme zeigen würden (Alangari, 2025).
Infusionen und das Immunsystem
Die wissenschaftliche Evidenz für die Stärkung des Immunsystems bei gesunden Personen durch intravenöse Infusionen ist begrenzt und nicht schlüssig. Die meisten Studien zu hochdosiertem Vitamin C, einem häufig verwendeten Bestandteil von Immun-Infusionen, konzentrieren sich auf kritisch kranke Patienten (z.B. Sepsis, COVID-19) oder Krebspatienten. In diesen Kontexten sind die Ergebnisse gemischt, und einige Studien zeigten sogar ein erhöhtes Sterberisiko (Lamontagne et al., 2022; Carr, 2020; Florescu et al., 2023; Majid et al., 2021; Hoppe et al., 2021).
Ein umfassendes Cochrane Review zur oralen Vitamin-C-Supplementierung ergab, dass diese die Inzidenz von Erkältungen in der Allgemeinbevölkerung nicht reduziert (Hemilä & Chalker, 2013). Sie kann jedoch die Dauer und Schwere von Erkältungen leicht verkürzen. Die therapeutische Gabe von Vitamin C bei Beginn der Erkältungssymptome zeigte keine konsistenten Effekte. Diese Review bezieht sich primär auf orale Supplementierung und nicht auf intravenöse Gaben bei gesunden Personen. Es fehlen robuste, randomisierte, placebokontrollierte Studien, die einen signifikanten Nutzen von intravenösen Infusionen zur Stärkung des Immunsystems bei gesunden Menschen belegen würden.
Die DGIM weist zudem darauf hin, dass Infusionen, wie jede Art von Injektion, Risiken wie Infektionen an der Einstichstelle, allergische Reaktionen auf die verabreichten Substanzen sowie Kreislaufprobleme durch schnelle Flüssigkeitszufuhr bergen (Ärzteblatt, 2024). Daher sollte die Verabreichung von Infusionen immer unter ärztlicher Aufsicht erfolgen.
Fazit
Für gesunde Menschen ohne nachgewiesene Mangelzustände oder spezifische medizinische Indikationen gibt es keine überzeugende wissenschaftliche Evidenz, die den Nutzen von Infusionstherapien zur allgemeinen Gesundheitsförderung, zur Stärkung des Immunsystems im Winter oder als Überlegenheit gegenüber oralen Nahrungsergänzungsmitteln belegen würde. Fachgesellschaften warnen vor solchen "Wellnessanwendungen" als teuer und wirkungslos für Gesunde und weisen auf potenzielle Risiken hin. Eine ausgewogene Ernährung und ein gesunder Lebensstil bleiben die primären Empfehlungen zur Erhaltung der Gesundheit und Stärkung des Immunsystems.
Erweitere dein Wissen zu ganzheitlicher Diagnostik & Therapie!
Entdecke die Welt der funktionellen Medizin und erfahre mehr zu unserer Health Coach Ausbildung für Health Professionals.

Ärzteblatt. (2024). Internisten warnen vor Wellnesstrend mit intravenöser Gabe von Vitaminen und Mineralien. Gefunden am 08.10.2025 unter https://www.aerzteblatt.de/news/internisten-warnen-vor-wellnesstrend-mit-intravenoeser-gabe-von-vitaminen-und-mineralien-555d5abf-8fd3-4d64-bd21-bf84f1dd019b
MSD Manual. (o.J.). Intravenöse Vitamintherapie (Myers-Cocktail). Gefunden am 08.10.2025 unter https://www.msdmanuals.com/de/heim/spezialthemen/nahrungsergänzungsmittel-und-vitamine/intravenöse-vitamintherapie-myers-cocktail
Kearns, M., Binongo, J., Watson, D. et al. The effect of a single, large bolus of vitamin D in healthy adults over the winter and following year: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Eur J Clin Nutr 69, 193–197 (2015). https://doi.org/10.1038/ejcn.2014.209
Alangari A. (2025). To IV or Not to IV: The Science Behind Intravenous Vitamin Therapy. Cureus, 17(6), e86527. https://doi.org/10.7759/cureus.86527
Lamontagne, F., Masse, M. H., Menard, J., Sprague, S., Pinto, R., Heyland, D. K., Cook, D. J., Battista, M. C., Day, A. G., Guyatt, G. H., Kanji, S., Parke, R., McGuinness, S. P., Tirupakuzhi Vijayaraghavan, B. K., Annane, D., Cohen, D., Arabi, Y. M., Bolduc, B., Marinoff, N., Rochwerg, B., LOVIT Investigators and the Canadian Critical Care Trials Group (2022). Intravenous Vitamin C in Adults with Sepsis in the Intensive Care Unit. The New England journal of medicine, 386(25), 2387–2398. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2200644
Carr A. C. (2020). A new clinical trial to test high-dose vitamin C in patients with COVID-19. Critical care (London, England), 24(1), 133. https://doi.org/10.1186/s13054-020-02851-4
Florescu, S. (2023). The LOVIT-COVID Investigators, on behalf of the Canadian Critical Care Trials Group, and the REMAP-CAP Investigators. Intravenous Vitamin C for Patients Hospitalized With COVID-19: Two Harmonized Randomized Clinical Trials. JAMA. 2023;330(18):1745–1759. doi:10.1001/jama.2023.21407
Majidi, N., Rabbani, F., Gholami, S., Gholamalizadeh, M., BourBour, F., Rastgoo, S., Hajipour, A., Shadnoosh, M., Akbari, M. E., Bahar, B., Ashoori, N., Alizadeh, A., Samipoor, F., Moslem, A., Doaei, S., & Suzuki, K. (2021). The Effect of Vitamin C on Pathological Parameters and Survival Duration of Critically Ill Coronavirus Disease 2019 Patients: A Randomized Clinical Trial. Frontiers in immunology, 12, 717816. https://doi.org/10.3389/fimmu.2021.717816
Hoppe, C., Freuding, M., Büntzel, J. et al. Clinical efficacy and safety of oral and intravenous vitamin C use in patients with malignant diseases. J Cancer Res Clin Oncol 147, 3025–3042 (2021). https://doi.org/10.1007/s00432-021-03759-4
Hemilä, H., & Chalker, E. (2013). Vitamin C for preventing and treating the common cold. The Cochrane database of systematic reviews, 2013(1), CD000980. https://doi.org/10.1002/14651858.CD000980.pub4













