Präventive Blutdiagnostik – sinnvoll oder überflüßig? Eine differenzierte Betrachtung

Immer wieder hört man, präventive Blutdiagnostik sei unnötig, überflüssig oder gar schädlich. Manche KritikerInnen argumentieren, Studien würden zeigen, dass präventive Diagnostik kaum Krankheiten verhindert und auch keine Kosten für die Volkswirtschaft einspart. Diese Kritik hält sich hartnäckig – doch lohnt sich ein genauerer Blick: Was sagen die Daten wirklich, insbesondere wenn wir von modernen, funktionellen Markern wie Lipoprotein(a), fT3, fT4, Homocystein oder dem Omega-3-Index sprechen, die über klassische Parameter hinausgehen? In diesem Beitrag analysieren wir die medizinische Evidenz und beleuchten die wirtschaftliche Perspektive – um am Ende eine ausgewogene Einschätzung geben zu können.
Präventive Diagnostik: Definition & Zielsetzung
Bevor wir in die Details einsteigen, ist es wichtig zu klären: Was ist präventive Diagnostik überhaupt? Unter präventiver Diagnostik versteht man Untersuchungen, die dazu dienen, Krankheiten bereits im Früh- oder sogar im präklinischen Stadium zu erkennen – also bevor überhaupt Symptome auftreten.
Das Ziel ist klar: durch frühzeitiges Erkennen und gezielte Intervention sollen schwere Krankheitsverläufe, invasive Therapien und hohe Folgekosten vermieden werden. Präventive Diagnostik will die Lebensqualität erhalten, die Lebenserwartung steigern und gleichzeitig das Gesundheitssystem entlasten. Doch funktioniert das wirklich so?
Die Kritik an präventiver Diagnostik
Kritische Stimmen stützen sich häufig auf große Übersichtsarbeiten, wie zum Beispiel dem Cochrane-Review von Krogsbøll et al. (2019), der unspezifische Gesundheitschecks an gesunden Erwachsenen ohne Risikoselektion untersucht hat. Die dort formulierten Hauptargumente gegen den Nutzen von präventiver Diagnostik klingen zunächst überzeugend:
- Es zeigte sich kein Effekt auf die Gesamtmortalität oder das Auftreten schwerer Erkrankungen, selbst wenn Risikofaktoren gesenkt wurden.
- Es bestehe ein Risiko für Überdiagnosen und Übertherapie – also Menschen werden als „krank“ eingestuft, obwohl keine relevante Krankheitslast vorliegt.
- Diagnosen ohne echte Krankheitslast können zu psychischen Belastungen führen – etwa Ängsten oder Sorgen.
- Und: Gesundheitschecks führen oft zu Kostensteigerungen, da mehr Diagnosen auch mehr Folgeuntersuchungen und Therapien bedeuten.
Die Schlussfolgerung der KritikerInnen lautet also: Flächendeckende Gesundheitschecks seien ineffektiv, teuer und potenziell schädlich. Doch ist das wirklich die ganze Wahrheit?
Warum diese Kritik nur bedingt zutrifft
Ein entscheidender Punkt wird bei dieser Diskussion häufig übersehen: Die zugrunde liegenden Studien sind veraltet – viele stammen aus den Jahren 1963 bis 2009 – und sie basieren fast ausschließlich auf klassischen Parametern wie Blutdruck, Cholesterin, Blutzucker, BMI, Urinanalysen oder EKGs. Moderne, funktionelle Marker wie Lipoprotein(a), fT3/fT4, Holo-TC, Homocystein, Omega-3-Index, Zonulin oder Mikrobiomanalysen wurden in diesen Analysen überhaupt nicht berücksichtigt.
Mit anderen Worten: Die Kritik basiert auf einem veralteten Bild von Prävention – und verkennt die Potenziale moderner, funktioneller Diagnostik, die andere bzw. weitere Biomarker heranzieht.
Wo präventive Diagnostik sinnvoll ist
Ein differenzierter Blick auf die Literatur zeigt: Gezielte, individualisierte Diagnostik in definierten Risikogruppenkann medizinisch sinnvoll sein. Hier einige Beispiele, wo Früherkennung nachweislich Vorteile zu bringen scheint:

Ökonomische Studien zur präventiven Diagnostik: Was sie zeigen – und was sie nicht zeigen
Neben der medizinischen Perspektive wird auch wirtschaftlich argumentiert: Präventive Diagnostik spare keine Kostenund sei daher nicht sinnvoll. Diese These stützen viele Studien, die jedoch meist auf klassische Gesundheitschecks abzielen – also Blutdruckmessungen, Blutzucker, Cholesterin – in der breiten Bevölkerung, ohne gezielte Risikoselektion.
Das Problem: Die meisten dieser Studien beruhen auf theoretischen Modellrechnungen – nicht auf realen Patientendaten. Sie simulieren, wie sich Gesundheitsausgaben und Krankheitsverläufe entwickeln könnten, wenn Prävention in großem Stil umgesetzt wird. Dabei müssen zwangsläufig viele Annahmen getroffen werden:
- Wie oft treten Krankheiten auf?
- Wie reagieren Menschen auf eine Diagnose?
- Wie konsequent setzen sie Empfehlungen um?
Solche Modelle sind wichtig, aber sie haben ihre Grenzen. Ihre Aussagekraft hängt stark von den Daten ab – und diese stammen oft aus älteren Studien, die nicht die heutige Lebensrealität widerspiegeln. Gerade für moderne, funktionelle Marker wie Lipoprotein(a), Homocystein, fT3/fT4 oder den Omega-3-Index fehlen bislang belastbare Langzeitstudien, die reale Verläufe abbilden und Kosten-Nutzen-Analysen ermöglichen. Ein Beispiel für diese methodischen Schwächen liefert der Review von Oosterhoff et al. (2016): Die Autor:innen kritisieren, dass viele ökonomische Studien auf vereinfachten Annahmen beruhen, ohne reale Patientendaten auszuwerten. Zudem werden indirekte Effekte – etwa eine verbesserte Ernährung, mehr Bewegung oder Stressreduktion nach einer Diagnose – oft gar nicht berücksichtigt.
Auch andere wichtige Aspekte bleiben häufig unberücksichtigt:
- Lebensqualität, Arbeitsfähigkeit und Patientensouveränität
- Interdisziplinäre Synergieeffekte (z. B. Kombination von Ernährung, Bewegung, Stressmanagement, Mikronährstoffintervention)
- Soziokulturelle Faktoren wie Bildungsstand oder Zugang zu Gesundheitsleistungen.
Kurz gesagt: Die bisherigen ökonomischen Analysen liefern Denkanstöße – aber sie zeigen vor allem, wie komplex die Bewertung präventiver Diagnostik ist. Für klassische Gesundheitschecks mag die Evidenz solide sein. Für moderne, individualisierte Diagnostik fehlt diese bislang – hier besteht dringender Forschungsbedarf.
Fazit: Präventive Diagnostik ist weder Wundermittel noch nutzlos – sondern ein Werkzeug
Die pauschale Aussage „Präventive Blutdiagnostik ist sinnlos“ ist wissenschaftlich nicht haltbar. Aber: Eine differenzierte Einordnung ist entscheidend. Die Kritik an unspezifischen Check-ups bei gesunden Menschen ohne Risikoprofil ist berechtigt. Flächendeckende, ungezielte Gesundheitschecks liefern oft keinen relevanten Mehrwert.
Aber: Gezielte, individualisierte Diagnostik mit modernen, funktionellen Markern wie Lipoprotein(a), fT3/fT4, Omega-3-Index oder Homocystein kann für definierte Risikogruppen sinnvoll und hilfreich sein, auch wenn belastbare Langzeitdaten zu gesundheitlichen Vorteilen und ökonomische Analysen noch ausstehen. Präventive Diagnostik ist kein „Test um des Testens willen“, sondern ein Werkzeug – ein Baustein in einem ganzheitlichen, individuellen Präventionskonzept, das auf Anamnese, Symptomen, Risikoprofil und Lebensstil basiert. Die Verantwortung liegt darin, Diagnostik zielgerichtet und sinnvoll einzusetzen und nicht als universellen Allheilansatz. Gleichzeitig braucht es in Zukunft mehr Forschung, bessere Daten und interdisziplinäre Konzepte, um die Potenziale moderner Diagnostik auch ökonomisch valide bewerten zu können.
Denn klar ist: Wenn wir Gesundheit wirklich langfristig erhalten und nicht nur Krankheiten behandeln wollen, müssen wir Risiken früh erkennen und ganzheitlich handeln und dafür kann präventive Diagnostik ein entscheidendes Puzzlestück sein.
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